Festrede zur Jugendweihe am 25. Mai 2019

Liebe Jugendliche, liebe Eltern und Großeltern, liebe Geschwister, Freundinnen und Freunde, sehr geehrte Frau Lampenscherf, sehr geehrter Herr Neumann, liebe Gäste,

ich schaue hier in viele fröhliche und ein wenig aufgeregte Gesichter. Liebe Jugendliche, ich freue mich sehr heute mit Euch feiern zu dürfen. Heute ist Euer Tag. Der Tag, an dem Ihr vor Eure Familien tretet und sagt, dass Ihr erwachsen werdet und bereit seid, für Euch selbst Verantwortung zu übernehmen. Und für Sie, liebe Eltern, ist dies der Tag, stolz zu sein. Stolz auf Ihre Kinder. Auf das, was Sie gemeinsam seit den ersten Schritten geschafft haben. Es ist der Tag der Jugendweihe.

Über die letzten Monate habt Ihr Euch intensiv auf diesen Moment vorbereitet. Gemeinsam habt Ihr ein Bewusstsein für den sozialen Umgang miteinander entwickelt. Ihr habt bewiesen, dass Ihr über gesellschaftliche Fragestellungen diskutieren könnt. Ihr habt die KZ Gedenkstätte Dachau besucht und unsere Wälder kennengelernt. Neben all diesen vielen Eindrücken blieb hoffentlich noch viel Zeit, bestehende Freundschaften zu pflegen und neue zu schließen.

Meine lieben jungen Frauen und jungen Männer – denn dies seid Ihr nun. Die Jugendweihe ist ein Übergangsritus. In fast allen Kulturkreisen finden sich diese Initiationen. Sie sollen den Jugendlichen helfen, ihren Platz in der Gesellschaft einzunehmen, indem sie ihnen Werkzeuge an die Hand geben, um eigenständig handeln und Entscheidungen treffen zu können. Die Jugendweihe orientiert sich hierbei am Humanismus. Seine Werkzeuge sind Vernunft und Ethik. Jeder Mensch besitzt die gleichen Freiheiten und die gleichen Rechte, seinem Leben einen Sinn zu geben. Aber Freiheit hat leider, oder auch zum Glück, Grenzen – Vielleicht ist neben dem Stolz und der Freude erwachsen zu werden, dem einen oder anderen etwas mulmig zumute. Vielleicht habt Ihr Respekt und sogar etwas Angst vor der Verantwortung, die auf Euch warten. Doch niemand wird damit allein gelassen. Ob Ihr nun vierzehn oder zweiundzwanzig, fünfzig oder sogar hundert Jahre alt seid. Wir sind alle Teil einer Gemeinschaft – einer Familie, in der Ihr um Hilfe fragen könnt, wenn Ihr sie denn wollt. Liebe Jugendliche, schaut Euch einmal um. Ihr macht diesen Schritt gemeinsam.

Seit Eurer Geburt haben Euch Eure Eltern viele Werte mit auf den Weg gegeben. Sie haben Euch beigebracht, empathisch zu sein und Mitgefühl zu entwickeln. Sie haben Euch gezeigt, wie Ihr Euch versöhnt, wenn Ihr Euch mit Eurem besten Freund oder Eurer besten Freundin gestritten habt. Oder sie haben Euch erklärt, wie Ihr einen neuen Mitschüler in die Gemeinschaft integriert – wie Ihr alle aufeinander zugehen könnt. Ein Wert, der mir persönlich in der Erziehung meiner Kinder immer besonders wichtig war, ist die Toleranz. Die Toleranz gegenüber anderen Lebensweisen, Kulturen oder Religionen. Und es gilt auch kleinere Eigenheiten zu akzeptieren: einen Sprachfehler oder Schüchternheit zum Beispiel. Wir tragen alle unsere kleinen und großen Fehler mit uns, sie machen uns menschlich. Ist Euch schon mal aufgefallen, dass sich alle Heldeninnen und Helden nicht durch ihre Superkräfte, sondern durch ihre Schwächen definieren?

Liebe Jugendliche, seid mutig wie eine Heldin oder ein Held. Das heißt nicht, dass Ihr eine Mutprobe nach der anderen absolvieren sollt. Nein, seid mutig, eine eigene Meinung zu vertreten, auch wenn sie nicht von allen geteilt wird. Steht für Euch und Eure Mitmenschen ein, auch wenn dies einem vermeintlich Stärkeren nicht gefällt. Und zeigt Mitgefühl denjenigen gegenüber, die unsere Hilfe brauchen.

Ob im Buch oder auf der Leinwand – Heldinnen und Helden gelten als Vorbilder, als Idealbilder für das eigene Handeln. Aber vielleicht müsst Ihr Euch nur umsehen. Vielleicht sind Eure Eltern die größten Vorbilder – Wegweiser, an denen Ihr Euch orientieren könnt. Heldinnen und Helden haben übrigens auch die Superkraft, alles um sie herum mitzubekommen. Seid aufmerksam, auch im Alltag. Bemerkt, wenn ein älterer Mensch in den Bus steigt und bietet ihm Euren Sitz an. Oder tröstet Euren Mitschüler, wenn dieser traurig ist. Viel zu oft nehmen wir kaum wahr, was um uns herum passiert, weil wir zu sehr mit unseren eigenen Baustellen beschäftigt sind. Das passiert mir, das passiert Euren Eltern und Euch sicher auch. Deshalb ist es immer wieder wichtig sich daran zu erinnern und herauszublicken.

Und Heldinnen und Helden handeln immer für das Wohl der Gesellschaft. Geht es der Gesellschaft gut, geht es auch jedem einzelnen gut. Deshalb...

Liebe Jugendliche, seid Heldinnen und Helden! Engagiert Euch! Denn Ihr habt das Recht und die Freiheit dazu! Engagiert Euch für den Frieden. Oder für Hilfsbedürftige. Oder für die Umwelt. Oder vieles weitere. Mit Freuden sehe ich, dass so viele Jugendliche und Kinder bereit sind, sich politisch zu informieren und sich eine Meinung zu bilden. Dass sie Initiative zeigen. Dass sie mit Enthusiasmus auf die Straße gehen, um Forderungen an die Politik zu stellen. Laut sind. Für ihre Zukunft kämpfen. Denn Ihr seid die Zukunft!

Persönliches Engagement bedeutet jedoch mehr, als demonstrieren zu gehen. Überlegt Euch, wo Eure Stärken liegen. Wie könnt Ihr persönlich etwas bewirken? Wo gibt es Vereine, Initiativen oder NGO's, in denen Ihr Euch engagieren könnt? Hier ist kein Bereich wichtiger als ein anderer, denn alle bilden gemeinsam eine Infrastruktur, die unser Leben bereichert, unsere Gemeinschaft sichert und vielfältig macht. Dazu zählen Sportvereine, Menschenrechts- und Umweltorganisationen ebenso wie politische Parteien, die Freiwillige Feuerwehr oder kulturelle Einrichtungen. Viele von Euch sind sicher schon ehrenamtlich aktiv. Bleibt dran. Schafft Euch die Gesellschaft, in der Ihr leben wollt.

Liebe Jugendliche, doch jetzt: Feiert! Genießt jeden Moment. Lasst Euch inspirieren. Seid enthusiastisch. Und sprüht ganz viel Energie in diese Welt.

Liebe Eltern, bis hierher haben Sie Ihr Kind begleitet, angeleitet und bei jedem Entwicklungsschritt angefeuert. Von hieraus wird Ihr Kind immer eigenständiger voranschreiten. Immer mit Ihnen an seiner Seite.

Erwachsen wird natürlich niemand über Nacht. Auf Sie gemeinsam warten Jahre der Orientierung, in denen Sie Ihrer Tochter oder Ihrem Sohn mit Rat und Tat beiseite stehen wollen. - Sie fiebern ja in jedem Moment mit. - Und ich weiß auch, dass junge Erwachsene die Ratschläge nicht unbedingt immer hören wollen. Dennoch liebe Eltern, ich bin mir sicher, es wird der Zeitpunkt kommen, an dem Ihr Kind sich wieder an Sie wendet und nach Ihrer Meinung fragt.

Und auch Ihr Leben wird sich nun ändern. Die letzten Jahre wurden vom Elternsein geprägt. Jetzt nabelt sich Ihr Kind mehr und mehr ab. Wird eigene Entscheidungen treffen, vielleicht alleine verreisen oder in ein paar Jahren ausziehen. Aber als Mutter zweier Erwachsener kann ich Ihnen sagen: Eltern bleiben Sie Ihr ganzes Leben lang. Sie werden stolz sein und besorgt. Sie werden vieles loben und manches widerwillig akzeptieren. Sie werden schweigend die Fehlentscheidungen übersehen und sich daran erinnern, welche Sie selbst getroffen haben. Immer wieder sind es diese Gegensätze, die unsere Gefühle bestimmen.

In diesem Wechselbad der Gefühle, werden Sie bestimmt bemerken, dass auch Sie einige Freiheiten zurückgewonnen haben. Und irgendwann kommt einmal der Moment – und das garantiere ich Ihnen - , an dem Sie einmal Ihr eigenes Kind um Rat bitten.

Die Großeltern in diesem Raum werden sich sicher daran erinnern, wie sie sich vor einigen Jahren gefühlt haben. Als Sie, liebe Eltern, erwachsen wurden und Sie, liebe Großeltern, lernen mussten loszulassen.

Liebe Großeltern, liebe Verwandte, liebe Freundinnen und Freunde, auch Sie sind heute hier, weil Sie eine zentrale Rolle im Leben dieser jungen Erwachsenen einnehmen. Vielen Dank auch Ihnen, dass Sie unterstützen, leiten und mitfiebern.

Liebe Jugendliche, genießt diesen Tag, an dem sich alles um Euch dreht. Und auch wenn Ihr an der Schwelle zum Erwachsenwerden steht, nehmt das Kind in Euch mit durch die Tür. Wir brauchen seine Kreativität und Naivität und Spielfreude. Wir brauchen Phantasien. Denn nur so gestalten wir unsere Wirklichkeit.

Engagiert Euch! Seid tolerant und aufmerksam und mutig. Seid Heldinnen und Helden!

In diesem Sinne wünsche ich Ihnen, liebe Jugendliche, liebe Eltern, liebe Gäste, von ganzem Herzen alles Gute für die Zukunft.

Vielen Dank und eine wunderschöne Feier!