Festrede zur Jugendweihe 2017

Liebe Jugendliche, liebe Eltern und Großeltern, Sehr geehrte Frau Lampenscherf, sehr geehrte Frau Meinert, sehr geehrter Herr Neumann, liebe Gäste,

mit Stolz und Freude, aber auch ein wenig aufgeregt, stehe ich heute vor Euch und Ihnen. Es ist meine erste Festrede zu einer Jugendweihe - umso mehr freue ich mich, heute hier sein zu können und Euch an diesem besonderen Tag zu begleiten. Dieser Tag ist wirklich etwas ganz besonderes! Ihr, liebe Jugendliche, feiert heute den Eintritt in das Erwachsenenleben. Mit gemeinsamem Unterricht habt Ihr euch auf diesen Tag und auf diese Feier vorbereitet. Ab heute lasst Ihr Leichtsinn und Träumereien ein Stück weit hinter Euch und übernehmt Verantwortung für Euer Handeln und für unsere Gesellschaft. Ihr seid nun „erwachsen“.

Viele Kulturen und Traditionen feiern den Übergang von der Kindheit in die Welt der Erwachsenen. Manchmal geht es auch - aus unserer Sicht - ein wenig martialisch zu, wenn der heranwachsende Jugendliche bewusst in eine Stresssituation gebracht wird, in der er „Mut zeigen“ und sich „bewähren“ soll, um dann als „vollwertiges Mitglied“ in die Gemeinschaft aufgenommen zu werden. Keine Sorge, so etwas steht Euch heute nicht bevor - Ihr werdet nicht irgendwo ausgesetzt und müsst dann alleine heimfinden!

In Deutschland dagegen denkt man bei Feiern zum Übertritt vom Kindes- in das Erwachsenen-alter meistens an einen kirchlichen Hintergrund: Die Firmung in der katholischen Kirche nimmt als Vollendung der Taufe die Jugendlichen als vollwertige Mitglieder in die Gemeinde auf, so dass sie nun tatsächliche Ämter übernehmen können. In der evangelischen Kirche feiert man die Konfirmation, in der das Taufversprechen bewusst noch einmal bestätigt wird. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts wandten sich immer mehr Menschen von der Kirche ab - machten sie sie doch für ihre Unterdrückung verantwortlich und es entwickelten sich andere Feste, die den Übergang von der Jugend in das Erwachsenenalter ohne religiöse Bindung feiern sollten. In der Tradition der Arbeiterbewegung entwickelten sich diese Feiern im 19. und 20. Jahrhundert zu einer „Schulentlassungsfeier“. Denn mit dem Ende der Volksschule war für die Mehrzahl der jungen Menschen die Kindheit vorbei. Es begann der Arbeitsalltag und damit das Lebens als Erwachsener.

Der Begriff „Jugendweihe“ als Gegenstück zur kirchlichen Firmung oder Konfirmation tauchte erstmals 1852 auf und geht auf einen Vorschlag von Eduard Baltzer, einem evangelischen Theologe und erster Präsident des Bundes Freireligiöser Gemeinden in Deutschland zurück. Mit diesem Begriff wollte er die Abkehr von den Kirchen deutlich machen. Denn bisher wurden noch Begriffe aus der christlichen Tradition (Konfirmation) für die außerkirchlichen Feiern benutzt oder ihr Ersatzcharakter betont. Die nun neue Form des Initiationsritus wurde von freireligiösen Gemeinden entwickelt. Sie organisierten einen besonderen moralischen Vorbereitungsunterricht für die Jugendlichen und wollten sich so von den Großkirchen und der staatlichen Obrigkeit absetzen. Ein Ansatz, der damals ein hohes Konfliktrisiko in sich barg. Der Streit um die Jugendweihe und deren Vorbereitungskurse hatten aus heutiger Sicht ihre Ursache in dem Aufbegehren gegen die rechtliche und soziale Benachteiligung breiter Bevölkerungskreise. Somit ist das Ringen um die Durchsetzung der Jugendweihe auch irgendwie ein Stück Geschichte der Demokratiebewegung! Und Ihr, liebe Jugendlichen, seid nun ebenfalls Teil davon!

Manche werden sich jedoch vielleicht fragen, was der Zweck solcher Feiern generell ist… Sollen die Jugendlichen überhaupt an der Firmung, der Konfirmation oder der Jugendweihe teilnehmen? Ist eine Feier zum Übertritt in das Erwachsenleben überhaupt nötig oder doch nur eine weitere Gelegenheit, Geschenke einzusammeln? Ich möchte diesen Meinungen entschieden entgegentreten! Allen Feiern gemein, egal ob mit kirchlichem oder außerkirchlichem Hintergrund, ist doch der Wunsch, die Jugendlichen mit festen Werten und Traditionen auf ihrem künftigen Weg zu begleiten und den Beginn dieses neuen Lebensabschnitts feierlich und würdig zu begehen. Und dies halte ich in unserer heutigen Zeit wichtiger denn je: Es herrscht eine Zeit des Umbruchs und des gesellschaftlichen Wandels. Ich denke da zum Beispiel an die immer stärker werdende Globalisierung. Doch von dieser wachsenden Verflechtung der Welt profitieren leider nicht alle - es gibt auch viele Verlierer, viele bleiben zurück. In diesem Zusammenhang nehmen u.a. rechtspopulistische Tendenzen immer stärker zu; Werte, wie Menschlichkeit, Rücksichtnahme und Toleranz, die lange als selbstverständlich galten, müssen wieder mühsam verteidigt und eingefordert werden.

Auch die Art des Kommunizierens, des „Miteinandersprechens“ ist mit der Zeit - in Eurer Generation - anders geworden. Durch die Digitalisierung gibt es immer mehr „digitale“ Freunde, man chattet lieber, als dass man miteinander spricht oder zusammen einen Kaffee trinkt. Beziehungen werden kurzlebiger und wenn einem etwas nicht gefällt, wird schnell ein Shitstorm entfacht, als dass man sachliche und konstruktive Kritik übt - vielleicht kennt Ihr das aus eigener Erfahrung?!. Viele Werte gehen über alledem verloren; das finde ich sehr schade! Geben sie doch einen gewissen Halt im Leben. Und was gibt es denn Schöneres, als junge Erwachsene mit Werten und Traditionen in ihren Start in das Erwachsenenleben zu begleiten? Deswegen freue ich mich sehr, diesen besonderen Tag in meinem Amt als kirchenpolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion mit Euch zu feiern!

Dennoch denke ich, und da möchte ich ehrlich sein, dass sich der eigentliche Zweck der heutigen Feier - nämlich der Übertritt in das Erwachsenenleben - nicht sofort erfüllt… Man wird leider nicht von heute auf morgen erwachsen. Aber ich glaube, dass dies auch gar nicht erstrebenswert wäre! Was wäre das langweilig! Der Tag und die Feier heute können Euch aber anregen, darüber nachzudenken, wie Ihr euch das Erwachsensein vorstellt, wie es sein soll und wie es dagegen nicht sein soll. Es lohnt sich - und das möchte ich Euch von ganzem Herzen versichern - dieses (EUER!) Leben offen, aktiv und mit großer Neugierde anzugehen!

Ja, gewiss, es gibt eine Menge Wagnisse, Abenteuer und Fallstricke. Mit jedem Tag, den ihr älter werdet, werdet Ihr Entscheidungen treffen. Manch einer trifft gleich zu Beginn die richtige Entscheidung. Andere werden Umwege gehen. Viele Entscheidungen kann man berichtigen und neu fällen. Manchen Entschluss fällt man nur einmal. Jede Entscheidung kann die falsche, aber auch die richtige sein. Aber Ihr habt es in der Hand! Es wird möglicherweise Rückschläge geben, mancher Plan wird nicht aufgehen und man wird leider auch nicht alles auf einmal haben können. Erwachsensein bedeutet in diesem Sinne, seine Entscheidungen abzuwägen. Zu prüfen, wohin Euch die Entscheidung führt, welche Konsequenzen sie für Euch selbst - aber auch für die Menschen, die Euch wichtig sind - haben wird. Durch all' diese Entscheidungen, die Ihr in Zukunft treffen werdet, kommt Ihr ein Stück zu euch selbst und werdet dadurch auch erwachsen. Versucht jedoch, bei allem konsequent zu sein! Korrigiert Euch, wenn Ihr euch geirrt habt und geht Euren Weg, wenn Ihr wirklich von ihm überzeugt seid. Wartet nicht darauf, dass Euch jemand sagt, was Ihr tun sollt, sondern findet es selbst heraus. Entscheidungen können sehr, sehr schwer fallen. Aber genau diese Entscheidungen ermöglichen es uns, unser Leben zu leben.

Ihr seid nun mit diesem Tag in weit höherem Maße als bisher verantwortlich für das, was Ihr tut oder auch nicht tut: Für den Weg, den Ihr einschlagt. Dieser Weg kann euch dahin führen, dass Ihr Eure Talente zum eigenen Vorteil und zum Wohl anderer einsetzt. Oder Ihr bewegt euch immer in die Richtung, die gerade am bequemsten ist oder in die alle gehen. Sehr weit werdet Ihr da nicht kommen - das zeigen meine eigenen Erfahrungen. Geht Euren eigenen Weg - mit allen Umwegen und Hindernissen! Dabei möchte ich Euch jedoch bitten, ein offenes Auge und ein offenes Ohr für Eure Mitmenschen zu haben: Helft, wenn es geht! Verschließt nicht Euren Blick vor den Problemen unserer Gesellschaft. Wir alle können dazu beitragen, diese - unsere - Welt lebenswerter zu machen. Deshalb:

Setzt Euch ein!

… für die schwächeren Mitglieder unserer Gesellschaft! Nicht jeder hat die gleichen guten Startbedingungen für ein erfülltes Leben, so wie Ihr. Setzt Euch ein für schwächere, benachteiligte, arme und behinderte Menschen. Wir sind alle gleichberechtigte Mitglieder unserer Gesellschaft! Erklärt den Menschen, warum es wichtig ist, Menschen in Not zu helfen. Seid solidarisch! Gebt den Menschen das Gefühl, nicht allein zu sein. Schaut hin und nicht beschämt weg. Lächelt, wenn ein Lächeln helfen kann. Unterstützt Euch gegenseitig, wenn es möglich ist. Helft einander bei vermeintlich aussichtslosen Situationen. Und vor allem: Interessiert Euch füreinander! Keiner lebt für sich allein und jeder Mensch hat eine zweite Chance verdient.

Seid tolerant!

Es gibt so viele Wege, das Leben zu leben. Gesteht anderen zu, ihren eigenen Weg zu gehen - auch wenn Ihr ihn für falsch haltet. Helft und unterstützt euch gegenseitig dabei und akzeptiert die Entscheidungen von anderen, auch wenn Ihr sie vielleicht anders getroffen hättet.

Geht wählen!

Beteiligt euch! Bringt und mischt Euch ein! Demokratie ist ein wichtiges und hohes Gut, für das es sich lohnt, zu kämpfen! Wir müssen uns gemeinsam gegen den Rechtspopulismus stellen. Wir müssen verhindern, dass die Feinde unserer Demokratie, die oft die schwächsten Mitglieder unserer Gesellschaft zum Feindbild haben, weiter an Einfluss und Bedeutung gewinnen. Auch Europa braucht Euch! Ihr gehört zu der Generation, die nie einen Krieg in Europa erleben mussten - dies zu erfahren, ist ein großes Glück. Dafür lohnt es sich für uns alle, auch in Zukunft zu kämpfen.

Seid kindisch!

Trotz allem Erwachsenwerden: Bleibt ein bisschen Kind… Habt Spaß am Leben. Anstrengende und sorgenreiche Tage gibt es leider genug. Genießt den Moment, das Hier und Jetzt, und bewahrt Euch so schöne Erinnerungen.

Liebe Jugendliche,

das ist heute Euer Tag und Eure Feier! Aber dieser Tag erfüllt auch Eure Eltern und Eure Familien mit Stolz und Rührung…

Liebe Eltern, Großeltern und Verwandte,

Ihnen gebührt an diesem Tag großer Dank. Vielen Dank, dass Sie Ihren Kindern helfen, ihren Weg zu gehen und einen Platz in unserer Gesellschaft zu finden. Vielen Dank, dass Sie sie begleiten, erwachsen zu werden - auch wenn vielleicht manches nicht so läuft, wie Sie es sich für Ihr Kind wünschen! Sie haben sich vor 14 oder 15 Jahren dafür entschieden, ein Kind zu bekommen und nun sitzt es - fast erwachsen - vor Ihnen. Wahrscheinlich werden Sie sich jetzt wundern, wohin die Zeit und die Jahre verschwunden sind: Das erste Lächeln, der erste Zahn, die ersten Schritte, der erste gemeinsame Urlaub oder der Schulbeginn… Auf all' diese Momente blicken Sie stolz, lachend und ein wenig wehmütig zurück. Somit ist dieser heutige Tag auch für Sie eine kleine Zäsur: Ihr Kind wird nun erwachsen und wird seinen eigenen Lebensweg einschlagen. Nun, ich kann Ihnen aber aus der eigenen Erfahrung mit meinen eigenen Kindern berichten: Das ist es jetzt noch nicht gewesen! Viele wichtige Entscheidungen stehen ja erst noch an und bestimmt wird Ihre Meinung oder Ihr Rat dann vielleicht ungern gefragt, aber dennoch gern gehört werden. Die Phase, wo die Kinder ungeniert um Hilfe und Rat fragen, kommt aber wieder. Das kann ich Ihnen versichern!

Liebe Jugendliche,

die Welt ist bunt und vielfältig. Es gibt nicht den einen - richtigen - Weg zu leben. Ich bin mir aber sicher, dass jeder von Euch auf seine Art glücklich werden wird. Draußen wartet nun die Welt der Erwachsenen auf euch! Ihr seid jetzt Teil dieser Welt. Bereichert sie mit euren Ideen. Wir brauchen Eure Kreativität und Euren Mut und Euren Elan, etwas zu verändern! In diesem Sinne wünsche ich Euch von Herzen alles, alles Gute! Habt heute gemeinsam mit Euren Familien einen schönen und erlebnisreichen Tag, an den Ihr euch auch später gerne noch erinnert!